Religion und Macht
Prof. Dr. Horst Hermann
Vortrag am Institut für Religionsphilosophische Forschung
der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main am 16. Januar 2001
Das Verhältnis von Religion und Macht erscheint ambivalent. Handelt es sich um Wechselbegriffe oder um Gegensätze? Oder ist Religion immer beides: Ausdruck sowohl der Macht wie des Heils dessen, worauf sie sich bezieht. Ist dieses Etwas umgeben von einem mysterium tremendum und einem mysterium fascinans?
Religion ist ein vieldeutiger, Macht ein amorpher Begriff. Um beider Verhältnis besser untersuchen zu können, reduziere ich jeden Begriff auf zwei Bedeutungen. Religion sei einmal religio christiana im Sinne des Apostolicums und wird aus der theologischen Binnenperspektive dargestellt. Macht wird in diesem Zusammenhang als Herrschaft (Potestas) verstanden, die Fähigkeit, den eigenen gegen einen entgegenstehenden Willen durchzusetzen. Diesen christlichen Begriff von Religion konfrontiere ich sodann mit einem kosmologisch-ästhetischen Begriff, gewonnen aus der philosophischen Außenperspektive als Vision von etwas, das wirklich ist, doch seiner Verwirklichung harrt, allem Bedeutung verleihend. Hier bedeutet Macht die Potentia, die selbständige Kraft und die uranfängliche Möglichkeit Bewegungen und Wirkungen hervorzurufen.
Allmacht als ältestes Attribut Gottes strukturiert christliche Theologie bis in alle ihre Lehrstücke hinein, Im Verlauf der Christentumsgeschichte verlagert sich der Focus vom kosmologischen hin zum ethisch-politischen Aspekt, von der Potentia zur Potestas. Die politische Theologie rückt ins Zentrum des Glaubensverständnisses mit der Folge einer Sakrilisierung der politischen Macht und der Realisierung von Religion als politischer Nacht. Die Religionskritik auf dem Boden des Christentums wendet sich gegen diese enge Verbindung von Religion und politischer Macht. In dem Maße wie die Allmacht Gottes keine Größe des allgemeinen Bewußtseins mehr ist, gewinnen politische und wirtschaftliche Macht Aufmerksamkeit und Ansehen.
Die Religionsphilosophie Whiteheads hält an der Macht des Göttlichen fest, macht die Ethisierung ihres Verständnisses jedoch rückgängig zugunsten ihrer kosmologisch-metaphysischen Bedeutung. Das Göttliche liegt nicht länger außerhalb, sondern jetzt innerhalb des metaphysischen Schemas. Dieses befindet sich in Übereinstimmung mit dem heutigen natur-philosophischen Wirklichkeitsverständnis als Prozeß. Die ‘Primeordial Nature’ of God ist das Prinzip kreativen Fortschritts und sorgt in diesem Zusammenhang für die Identitätsvorgabe jedes Einzelwesens. Die ‘Consequent Natur4 of God garantiert die Transformation des Fließend-Vergänglichen ins ‘Immerwährende’ und die objektive Unsterblichkeit der Einzelwesen. Macht als Gewalt wird überführt in die Macht der Überredung zum Guten. Das Göttliche ist wie bei Platon Grund der Prinzipien der Natur wie der Moral.
Aus theologischer Sicht bleibt das Verhältnis von Religion und Macht ambivalent: Die starke Stellung der Kirche verkoppelt Herrschaft und Heil. Das findet eine Entsprechung im Wesen Gottes als mysterium tremendum und mysterium fascinans. Aus philosophischer Sicht sollte zum Vorteil von Religion diese Ambivalenz aufgelöst werden, dadurch daß die Macht Gottes geistig, nicht politisch interpretiert wird als Potentia nicht als Potestas, als persuasion nicht als power. Eine solche Entwicklung ist jedoch unwahrscheinlich wegen des Unterschieds zwischen Religion als real existierender Größe und als Vision.